Jidisch...
Von Leo Rosten (Jiddisch,
eine kleine Enzyklopädie)
Jidisch ist das jiddische Wort für
»jüdisch« und stammt aus dem mittelhochdeutschen judesch, das letztlich
»judäisch« bedeutet (siehe jid). Im Deutschen ist das Wort jiddisch erst
auf dem Umweg über Amerika populär geworden: Bis zum Ende des 19.
Jahrhunderts hieß das Jiddische in Deutschland offiziell juden-deutsch.
Um dieses »barocke Judendeutsch« zu erlernen, hat zum Beispiel der
22jährige Goethe eigens Sprachunterricht bei einem gewissen Christamicus
genommen, wie er in »Dichtung und Wahrheit« berichtet. Zwei Jahrzehnte
nach seinem Tod wurde sogar eine »Judenpredigt« in jiddischer Sprache
bekannt, die möglicherweise von seiner Hand aus der Leipziger Zeit
(1768/69) stammt (nach Otto E Best, Mameloschen, Frankfurt/M. 1973).
In Amerika: Yidish, Yiddish
Die Sprache der aschkenasischen Juden. Das Westjiddische wurde bis zum
Beginn des 20. Jahrhunderts im deutschen Sprachraum bis in die
Niederlande und nach Oberitalien, das Ostjiddische wurde und wird in
Osteuropa, aufgrund der großen Auswanderungswellen aber vor allem auch
in Nordamerika und Israel gesprochen. Die Umgangssprache der
sephardischen Juden war das Ladino.
Juden sprechen genausowenig »jüdisch« wie Protestanten »protestantisch«
oder Kanadier »kanadisch«. »Jüdisch« ist ein Adjektiv, kein Substantiv.
Aber weil jidisch im Jiddischen »jüdisch« bedeutet, wird das Wort
yiddish besonders von vielen amerikanischen Juden synonym mit jüdisch
verwendet. So ist dann gelegentlich von einem Jewish newspaper die Rede,
wenn eine Zeitung in jiddischer Sprache gemeint ist.
Jiddisch ist nicht Hebräisch, das (gemeinsam mit dem Aramäischen) für alle
Juden die Sprache des Gebets und der religiösen Handlungen und außerdem
Israels offizielle Staatssprache ist. Jiddisch wurde und wird aber mit
hebräischen Buchstaben geschrieben (das heißt auch: von rechts nach
links). Die Rechtschreibung ist phonetisch. Das hebräische Alphabet
besteht zwar nur aus Konsonanten - insgesamt zweiundzwanzig, im
Jiddischen werden aber vier davon zur Bezeichnung von Vokalen benutzt;
indem man sie durch Punkte darüber und darunter ergänzt. Die
Rechtschreibung (in hebräischer Schrift) ist standardisiert worden. Die
Transkription in lateinischer Schrift variiert dagegen erheblich. Dass
es für ein und dasselbe jiddische Wort im Deutschen und im
amerikanischen Englisch bis zu zehn verschiedene Schreibweisen gibt,
kann den gutwilligen Leser aber schwerlich beirren. Nichts läge dem
Geist des Jiddischen ferner als Rechthaberei.
Etwa 15 Prozent des jiddischen Vokabulars stammt aus dem Hebräischen, aber
der Grundbestand (etwa 70 Prozent) ist unzweifelhaft deutsch. Zahlreich
sind die Übernahmen aus dem Polnischen, Russischen; Rumänischen,
Ukrainischen und Slowenischen. Seit Ende des 19: Jahrhunderts wurde das
Jiddische auch aus dem Englischen angereichert.
Wegen seiner Fähigkeit, Wörter aus anderen Sprachen aufzunehmen, wird das
Jiddische oft als »Mischsprache« denunziert, und manche Leute meinen,
darüber die Nase rümpfen zu müssen. Diese Puristen sollten vielleicht
daran denken, dass jede Sprache ihre Geschichte hat und im Verlauf
dieser Geschichte Wörter aus anderen Sprachen aufnimmt. Und das
Englische hat wahrscheinlich von Anfang an mehr, bei anderen geborgt als
alle anderen Sprachen. »Keine andere Sprache zeigt ein größeres
Sortiment an ›Lehnwörtern‹ und aus anderen Sprachen übernommenen
Redewendungen«, sagen die ehrenwerten Sir William A. Craigie und H.
Kurath (Chambers' Encyclopedia, 1954).
hagalil.com / 24-10-02 |